Brief an die Freunde des Klosters St. Moses des Abessiniers in Nebek - Syrien, 2000

 

Jens Petzold, der vor vier Jahren in der Kirche des Klosters die Taufe empfangen hatte, hat sich während der Eucharistiefeier am Ostermontag Gott im monastischen Leben geweiht. Butros Abo tat seine Gelübde am Fest des Kreuzes am 14. September, nachdem er fünf Jahre im Kloster gelebt hat.

 

Cover Amici 2000c

Der Eintritt dieser beiden Brüder in die Gemeinschaft von Mar Musa setzt ein wichtiges Zeichen vor dem Hintergrund des weitreichenden Beziehungsnetzes, das schon fast eine Bewegung darstellt, welche viele Menschen in der kirchlichen und sozialen Umgebung des Klosters berührt.

Die Berufung unseres Klosters betrifft besonders den Vorrang des spirituellen Lebens, des Gebets und der Besinnung innerhalb der Symbolik der orientalisch-christlichen, speziell der syrischen, Tradition und in Harmonie und Gemeinschaft mit der spirituellen Erfahrung des Islams. Eine zweite Grundlage ist die Handarbeit, die erhebliche ökologische, soziale und ökonomische Implikationen hat, die Schlüsselelemente in einer Ästhetik des menschlichen Körpers in der Welt und im Dialog des Lebens sind. Drittens die täglich praktizierte Gastfreundschaft, die ihre Form sowohl im speziell arabisch-islamischen Kontext als auch durch Offenheit gegenüber der Welt annimmt.

Im Kloster Mar Musa treffen die lokale Bevölkerung und ein Besucherstrom aus allen Himmelsrichtungen aufeinander. Wir beobachten amüsiert ein signifikantes Ansteigen der Besucher aus Australien und Neuseeland, und auch die Anzahl der Besucher asiatischer Herkunft ist beträchtlich angestiegen. Dies weckt die Neugier unserer Nachbarn, der Bewohner der Region, und es ergeben sich viele Gelegenheiten zum Austausch zwischen den Reisenden und den jungen Syrern, die für einige Zeit im Kloster leben.

Die pakistanischen und iranischen Träume, die mit der Reise von Paolo und Jens im vergangenen Jahr verbunden waren, sind noch nicht ausgeträumt, sondern werden auch weiterhin ein wichtiger Teil unserer langfristigen Perspektiven sein. Die Gemeinschaft wird gegen Ende des Sommers für eine Probezeit von zwei Jahren die Verantwortung für das kleine Kloster und die syrisch-katholische Gemeinde von Qaryatayn übernehmen. Qaryatayn ist eine kleine Ortschaft in der Wüste, 35 km nordöstlich von Deir Mar Musa; die 12.000 Einwohner sind überwiegend Muslime. Es besteht dort auch eine syrisch-orthodoxe Gemeinde. Pater Jacques wird die syrisch-katholische Gemeinde leiten und zwischen Deir Mar Musa und Qaryatayn im Kombi hin- und herpendeln. Die Gründung des Klosters von Qaryatayn geht wahrscheinlich auf das 5. Jhdt. zurück. Es trägt den Namen eines Asketen: Mar Eliyan. Das Kloster liegt, umgeben von seinen großzügigen Ländereien, ungefähr 1 km vom Ortskern entfernt. Wenn die anstehenden archäologischen Grabungen nicht noch Überraschungen für uns bereithalten, wird es sich bei Deir Mar Eliyan eher um einen einfachen, harmonischen Wiederaufbau handeln als um eine echte Restaurierung. Wir planen, dieses Projekt langsam und schrittweise anzugehen, da es unserer Meinung nach sehr wichtig ist, den Einwohnern Qaryatayns Mitverantwortung zu übertragen. Diese sind jedoch momentan vollauf mit den Folgen einer langen Dürreperiode beschäftigt.

Deir Mar Musas Aktivitäten:

- Der Bau des Frauenklosters macht langsam, aber sicher Fortschritte. Auf einem starken Fundament, das wegen des steil abfallenden Felses nötig war, ist der erste Stock fast fertiggestellt.

- Die Errichtung des Staudammes bzw. der Brücke, die das neue Gebäude mit dem alten verbinden wird, geht rasch voran.

- Im Bereich des Kulturprojektes konnten wir in diesem Jahr vier Seminare und einen großen Ausbau unserer Bibliothek verbuchen. Das Kloster stellt, wenn auch noch zurückhaltend, einen Fixpunkt im hiesigen theologischen und interreligiösen Panorama dar. Durch unsere Internetseite (www.deirmarmusa.org) werden sich weitere Kontakte ergeben.

- Im Herbst 1999 arbeiteten wir an der Vorbereitung der Damaskus-Etappe der Wallfahrt des Mailänder Erzbischofs, Kardinal Martini, ins Heilige Land mit. Er reiste mit einem Teil seiner Diözese. Die Wallfahrt war, auch unter ökumenischen und interreligiösen Gesichtspunkten, ein Erfolg. Nun bleibt noch im Hinblick auf die für das Jahr 2001 angekündigte Reise des Papstes nach Syrien zu beten und bei ihrer Vorbereitung eng mit allen Beteiligten zusammenzuarbeiten.

- Im Umwelt-, Forst- und Agrarbereich haben wir uns in den vergangenen Jahren darauf konzentriert, die lokale Biodiversität auszuloten. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen nun als Ausgangspunkte für ein Projekt in der Region, bei dem das Kloster als Partner beteiligt ist. Die lokalen Behörden lassen ein verstärktes Interesse an dem erkennen, was wir im Ringen gegen die Desertifikation getan haben, die Perspektiven scheinen vielversprechend.

All dies hängt auch damit zusammen, wie wir Gäste und Besucher empfangen: Hierbei handelt es sich um eine extrem heikle Frage für unsere Berufung. Wir sind sehr froh, im Kloster alle Menschen willkommenzuheissen, aber dies muss in einer Weise geschehen, welche die Berufung zum kontemplativen Leben, die uns und diesem Ort eigen ist, bewahrt. Übrigens sucht ja hier auch die überwiegende Mehrheit der Besucher gerade diese Stille und Spiritualität. Angesichts der angekündigten Asphaltstraße, die bis auf einen halben Kilometer Entfernung an das Kloster heranführen soll, der Stromleitung und des wachsenden touristischen Interesses ist der Ausbau des umwelttechnischen Aspekts ein Weg, die kulturelle und sprirituelle Sphäre eines Klosters in der Wüste zu erhalten. Zusammen mit dem Umweltministerium arbeiten wir an der Verwirklichung eines Parks, wo Stille und Respekt gegenüber dem Ort nicht nur zufällige Nebenerscheinungen sind, sondern wesentliche Merkmale des Projekts darstellen.

Unser soziales Engagement für die jungen Familien der Gemeinde Nebeks, besonders den Familien unserer Mitarbeiter, ist gewachsen. Es gilt, dem grossen Risiko eines Aussterbens der hiesigen christlichen Gemeinde entgegenzuwirken, denn dies würde unseren Einsatz für interreligiöse Harmonie erschweren. Deshalb versuchen wir, neben der Förderung des kulturellen und theologischen Bewußtseins (auch unter katechetischem Aspekt) auch Kredite zum Hausbau und Arbeit bereitzustellen. Diese äusserst begrenzte Hilfe ist ein Teil unseres Dienstes, der der Mission der christlichen Gemeinschaft unverzichtbar und inhärent ist.

Im kirchlichen Bereich erfreuen wir uns eines guten Einvernehmens mit unserem neuen Bischof, Msgr. Georges Kassâb, und den Priestern seiner Diözese. Die Zusammenarbeit mit den Jesuitenpatres, den Ordensbrüdern Pater Paolos, verbessert sich mehr und mehr und ergänzt den stetig wachsenden Reichtum an fruchtbaren Freundschaften mit anderen Gemeinschaften und kirchlichen Organisationen in verschiedenen Teilen der Welt.

Wir erfuhren die Gnade, am spirituellen Wachstum mehrerer Menschen teilzunehmen, die sich nun verstärkt dem Dienst des Reiches Gottes widmen wollen, oft im ökumenischen oder interreligiösen Dialog. Dieses spirituelle Wachstum entwickelte sich besonders im Verlauf spiritueller Exerzitien, die sich über einen Monat oder auch eine kürzere Zeit erstreckten. Viele der jungen Frauen und Männer, meist Einzelreisende, die in das Kloster fanden, zeichnen sich durch überdurchschnittliche menschliche Qualitäten, viel Mut und große universelle und spirituelle Offenheit aus. Wie unterschiedlich sind die Persönlichkeiten der jungen Wallfahrer, die auf der Suche nach dem Absoluten hier vorbeikommen, und wieviel Hoffnung geben sie uns! Einige von ihnen bekundeten ihren Wunsch hierzubleiben, vielleicht am Ende ihrer Reise, andere träumen von einer ähnlichen Gemeinschaft anderswo in der Welt. Die Samen der Wüstenpflanzen haben Flügel, und der Wind trägt sie weit fort.

Wir müssen Euch unseren Schmerz und unsere Bestürzung kundtun, die wir durchlitten haben, als Elena Bolognesi sich entschied, die Gemeinschaft zu verlassen und andere Wege für ihre monastische Konsekration zu finden. Ihr radikales Bedürfnis nach gemeinschaftlichem und kontemplativem Leben führt Elena von uns weg, aber ihr Wunsch nach Verbundenheit wird für uns immer ein Zeichen und kostbares Signal sein.

Huda Faddul bleibt die einzige Nonne der Gemeinschaft. Auch andere Frauen leben mehr oder weniger konstant im Kloster, und einige von ihnen denken ernsthaft darüber nach, sich der Gemeinschaft als Nonne anzuschließen. Ihnen gegenüber übernimmt Huda mit Erfolg die Rolle der spirituell fortgeschrittenen älteren Schwester. Gerade angesichts der Schwierigkeiten, die wir in diesem Jahr durchlebt haben, ist es uns bewußter geworden, daß wir als Männer und Frauen zusammenleben wollen, Mönche und Nonnen in radikaler evangelischer Keuschheit, als Zeichen der immensen Fruchtbarkeit der Liebe Gottes, an der teilzuhaben alle Geschöpfe aufgerufen sind, jedes auf seine Weise. Die tiefgreifende anthropologische Veränderung des 20. Jahrhunderts, die das Selbstbewußtsein und die soziale Rolle der Frauen (also folglich auch der Männer) durchgemacht hat, führt uns weg von einer Welt der Unterordnung, der Trennung und des Mißtrauens hin zu Harmonie und Gemeinschaft in Menschlichkeit, Gleichheit, gegenseitiger Wertschätzung und Vertrauen. Naiv, wer meint, daß diese Veränderungen ohne gravierende Verschiebungen vonstatten gehen. Sie sind verbunden mit einem unzureichenden Bewußtsein von Sünde, besonders Machthunger und Überlegenheitsgefühl, aber auch weitreichender Unreife und affektiven und sexuellen Zwängen, übersteigertem Selbstbewußtsein und der Verschlossenheit gegenüber menschlichen und spirituellen Erfahrungen vergangener Generationen.

Liebe Freunde, zum Schluß des ersten Teiles dieses Briefes (der zweite ist eine nicht ganz einfache Reflexion Pater Paolos) möchten wir uns sehr für die Hilfe danken, die viele von Euch uns haben zukommen lassen, damit dieser Traum hier nicht erlischt. Die Situation hat sich durch die Wirtschaftskrise in Syrien, den Anstieg der Lebenshaltungskosten und die Schwäche des Euro erschwert. Die finanzielle Autonomie des Klosters ist noch in weiter Ferne. Die Tatsache, daß wir in all den Jahren keinen Mäzen gefunden haben, der den Großteil unserer Ausgaben übernimmt, ist ein Zeichen und eine Gnade. Aus der Not heraus haben wir uns mit unseren Plänen und Bedürfnissen immer wieder an viele Leute wenden müssen. Die Hilfe aus vielen verschiedenen Quellen hatte zur Folge, dass sich ein erstaunliches Netzwerk von tiefer Solidarität und verantwortlicher Freundschaft gebildet hat.

Wir sind auf Eure Unterstützung, so klein sie Euch auch scheint, angewiesen. Sie ist immer wichtig und großzügig in der Bedeutung, die in ihr ausgedrückt wird. Wir alle sind ganz klein angesichts des Werkes Gottes in unserem Leben. Vor allem fühlen wir uns dankbar und demütig, wenn wir sehen, wie viele Leute das Kloster um Hilfe bitten, und denen wir nichts als gute Hoffnung durch Fürsprache des Heiligen Moses und der alten Mönche geben könnten, wenn wir nicht über die Mittel verfügen würden, die wir durch Eure Großzügigkeit haben. Aus den verschiedenen finanziellen Quellen, über die wir frei verfügen können, geben wir zur Zeit mehr als 10% an Bedürftige. Hinzu kommt die Verwaltung der Gelder, die uns speziell für bedürftige Personen überlassen wurden. Wir bemühen uns, sie punktuell und gerecht im sozialen Umfeld Deir Mar Musas einzusetzen, wobei wir besonders Frauen und die Etablierung einer bewußten interreligiösen Harmonie fördern.

Unendlichen Dank also, wie immer verbunden mit der herzlichen Einladung, zu uns zu kommen und uns wiederzutreffen.

Prophezeiung, Individuum, Zukünftiges

Nicht nur im Hinblick auf islamisch-christliche Beziehungen, sondern auch im Kontext des Mittelmeerraumes und aus globaler Perspektive scheint es angebracht, das Thema der Prophezeiung wieder aufzunehmen.

Prophezeiung und Glaube stellen nur zwei Aspekte ein und derselben Realität dar. Es handelt sich um die Möglichkeit und die Fähigkeit, die Präsenz und die Initiative des persönlichen Gottes zu empfangen, in tiefster Seele und mit ganzem Herzen, in der Gemeinschaft des Geistes. Diese Präsenz des Heiligen Gastes im Individuum ist rational und schöpferisch: Aus der Sicht des Korans wurde Adam als Mikrokosmos auf den göttlichen Befehl „Sei!“ hin geschaffen, und "er ist" in der Geschichte bis zu seiner Erfüllung (Sure III, 59). Den Engeln, also den spirituellen Kräften, wird befohlen, vor Adam niederzuknien (Suren II, 34; VII, 11; XXXVIII, 71-73), der aus Lehm und Hauch gemacht ist (Suren XV, 28-29; XXXVIII, 71-72). Da er ein Prophet ist, spricht er die Namen aus und kennt die Bedeutungen, die Gott ihm offenbart, während die Engel sie nicht kennen (Sure II, 31-33).

Der Lehm nimmt Form an so wie Buchstaben ihre Bedeutung. Das Individuum wird geformt wie eine Tontafel, in die Keilschrift gedrückt wird.

Adam wurde aus Lehm geschaffen, Eva aus Adam. Erstaunliche Übereinstimmung. Der Hauch dringt in Maria, und das Wort wird so Mensch.

Die Idee unseres Ursprungs in Adam ist in unendlichen Evolutionsprozessen verlorengegangen. Unsere Vision der Zukunft ist eine Explosion des gegenwärtigen Moments geworden, weil es inzwischen möglich und notwendig ist, sich Zukunft als eine fortführende menschliche Expansion über den Planeten hinaus hin zu einer in Raum und Zeit potentiell unendlichen Möglichkeit vorzustellen. Einzig der Bogen des persönlichen Lebens, gespannt zwischen dem schöpferischen Beginn und dem unabwendbaren Ende, stellt die Schlüsselanalogie zum Verständnis der Existenz dar.

Deshalb gibt sich Jesus selbst, der Sohn Marias, das Individuum, im dramatischen Anspruch, in sich selbst den Tempel - Bild des Kosmos, Ort der Herrlichkeit - zu zerstören und wiederaufzubauen, als Gipfel und Quelle des Sinns, des Lebens, des Lichts, während seine Jünger in Ihm und in seinem Lebensbogen allumfassende Güte erkennen. So verkündet er, nachdem er und Maria sich bis zum letzten gegeben haben: „Es ist vollbracht.“ Und der Jünger, welcher die mystische Geburt der Kirche im Austritt von Blut und Wasser aus der rechten Seite dieses Tempels erkennt, verkündet, dass erst jetzt alles neu beginne.

Der Koran unterstreicht die Ähnlichkeit, sogar die Gleichheit von Adam und Christus (Sure III, 59) (vgl. Bibel: Röm 5, 14; 1Kor 15, 20-22, 45-49). Die Nachfolge der Kirche Jesu' von Nazareth führt das Gesetz fort und überwindet es in der Wiedererschaffung der Person, des Anderen in der Beziehung Mann-Frau, Gott-ich, Gipfel des Sinai (der Prophezeiung Moses') - Grotte Hirâ (der Prophezeihung Mohammeds), während Elia, eher der Geist Elias, Enoschs und Johannes des Täufers, immer wiederkehrend, im Wagen göttlichen Feuers in den Himmel emporgehoben wird.

Moses, mit dem Gott von Angesicht zu Angesicht spricht, verkündet das Kommen des Gesalbten. Entsprechend verkündet auch Mohammed, über den das Wort als Orakel kam, des Gesalbten Wiederkehr.

Jede Prophezeiung steht in einem bestimmten linguistischen und deshalb mehrdeutigen Kontext. Dies rechtfertigt allerdings weder die fundamentalistische Absolutheit dieser oder jener prophetischen Äußerung, noch erlaubt es, naiven Zweifel an der Wahrheit und Aufrichtigkeit der prophetischen Erfahrung zu üben. Einzig durch spirituelle Einsicht, gewonnen im Dialog und aus der Gemeinschaft, ist es möglich, die Wahrheit einer so radikalen, so polemischen, anscheinend so antichristlichen monotheistischen Prophezeiung wie der Mohammeds zu erkennen. Dies wird möglich, wenn man im Geist die Tradition der aufrechten Seelen, der verstorbenen Seelen und der geopferten Seelen der heiligen Männer und Frauen des Islams für ihren Propheten, zurückverfolgt.

Ein Jünger Jesu hat von dem Schleier Moses gesprochen, der gesandt worden ist, um das Verständnis des zentralen Mysteriums von Golgatha zu verdunkeln, damit dieses Mysterium nicht einer speziellen Gruppe vorbehalten bleibt (2 Kor 3, 7-18). Durch den gleichen Schleier wird das heilige Mysterium im Koran verdeckt, um seinen Mißbrauch zu Macht- und Manipulationszwecken in der „christlichen“ Welt zu verbieten, verhindern und zu bestrafen.

Es gibt verschiedene Arten des Postchristentums: die postchristliche historische Prophezeiung, wie die des Islams, oder die konstante Fortführung vorchristlicher Traditionen, wie das Judentum, oder auch außerchristliche wie Hinduismus oder Buddhismus, und schließlich die moderne und postmoderne Ablehnung des Zeugnisses des leeren Grabes. All dies dreht sich um das Geheimnis Christi und versteckt Christus unter einem großen Leichentuch.

Was machen sie also, die Jünger Christi, mit diesen Arten des Postchristentums? Sie können sie als Teufelswerk verdammen, oder sie im Warten auf die Manifestation des Lichts am Ende der Zeit tolerieren, oder sie können sie schließlich in einer Dynamik wechselseitiger Beziehungen lieben, um gemeinsame Hoffnungen auf eine gemeinschaftliche Zukunft hegen.

Besonders dieses Jahr 2000, in dessen Verlauf sich die Kirchen bemüht haben, die historische Zentralität des Ereignisses „Christus“ zu beweisen, scheint im Gegenteil eher das historische Scheitern des Christentums zu verdeutlichen. Das Scheitern des christlichen Universalismus heiligt jedoch nicht den Erfolg einer anderen Form der Globalisierung, die augenscheinlich mächtiger und effizienter ist. Dieses Scheitern des christlichen Systems scheint jedoch einem Entwicklungsprozeß zu entsprechen, der die Wiederherstellung der Nachfolge Jesu als zwischenmenschliche Beziehung favorisiert. Aus dieser Wiederherstellung ergibt sich die Treue zum mystischen, metahistorischen Wert des menschlichen Individuums in einem göttlichen Kindsein.

Zukunft, Eschatologie also – wir werden sie gemeinsam neu schreiben, Männer und Frauen, in dieser vielseitigen, verwirrenden und zugleich auch globalen, homogenisierenden, ja fast imperialen Zeit.

Dieser Aussenseiter aus Nazareth und seine Jünger wollen Zeugen der Dynamik der Gabe, des Opfers und der Kommunion, des wirkungsstarken, symbolischen Ortes des Übergangs in die Unendlichkeit und die Ewigkeit, sein. Andere Traditionen bezeugen auf andere Weise diese Wahrheit.

Die Eschatologie werden wir also neu schreiben, wir werden sie aufbauen, werden sie gemeinsam verwirklichen, sofern wir fähig sind zur Busse, zur Barmherzigkeit, zur Gemeinschaft, zum Dialog in Toleranz und zur Nächstenliebe (mit Ehrfurcht, die Wahrheit des anderen anzuerkennen als Voraussetzung dafür, die eigene Wahrheit zu erfahren). Aus diesem Grunde ist es gut, die vielfältigen und dynamischen Zugehörigkeiten dialektisch üben zu können, um die verschiedenen, sich kreuzenden Auslegungen aufzunehmen. Dies ist nur möglich durch aufmerksame Annahme und Entwicklung der prophetischen Gabe in der Tiefe der Persönlichkeit jedes Einzelnen, in der Stille, durch das Zuhören und das Orakel. Hier und jetzt ist unendliches Pfingstereignis des Heiligen Geistes in einer todesmutigen Anstrengung, bis zur Vergöttlichung durch Begegnung, jede Art von Begegnung, von der mystischsten bis hin zur gegenständlichsten – Geist, jenseits des Buchstabens; Das Wort, in der feuchten Erde dieses Tages, in seinem gemeinsamen Körper, der Welt.

Demütig und entschlossen werden wir uns gegen starre Zugehörigkeiten wenden. Dennoch bleiben wir der Wahrheit der Traditionen in ihren Besonderheiten und ihrer sich ergänzenden Wechselbeziehungen treu, die berichtigend, manchmal strafend, oft erlösend, wirken. An verschiedenen Orten und auf unterschiedliche Art und Weise sind mehr oder weniger stabile Brücken-Identitäten dabei, sich zu entwickeln. Mehr noch, ein kybernetisches Gewebe hüllt die Welt in ein neues und gemeinsames, linguistisches Gewand, virtuelle Vorstellungen einer wirklicheren und effektiveren Gemeinschaft der Heiligen. Es ist Zeit für eine neue Prophezeihung; nicht unbedingt für einen neuen Propheten, sondern für uns Propheten.

Wenn wir so ins Weite zurück- und vorausschauen, ergreift uns ein Gefühl von tiefer Ehrfurcht, Reue und unendlichem Trost.

 

Pater Paolo

 

German

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