Heute Morgen noch vor der Messe habe ich mir mit dem Bischof von Kirkuk zusammen einen Teil der Übertragung der Weihnachtsmesse in der Geburts-Basilika in Betlehem angeschaut. Die wunderschönen lateinischen Gesänge und Ehrfurcht gebietenden lateinischen Lesungen haben mich mit tiefer Traurigkeit erfüllt. In diesem Moment ist die Kirche zu einem linguistischen Museum verkommen. Was konnte der anwesende palästinensische Präsident Abu Masen wohl von dieser Messe mitnehmen? Was verstanden die Hunderte von Pilgern und einheimischen Gläubigen? Sicher gab es Hefte in Arabisch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch zum Mitverfolgen der Zeremonie, doch der eine Gott verlangt: "Hör" und auch: "Verkünde". Paulus erklärt uns klipp und klar: prophetisches Reden in verständlicher Sprache ist der Zungenrede vorzuziehen. Latein gehört heute, bei aller Notwendigkeit seiner Pflege, in den Bereich der Zungenrede. Es scheint als ob die Kirche, die einst in der Mitte der Gesellschaft und der Kultur stand, zur Fremden mit einer unverständlichen Sprache werden will: zur Barbarin.1
Es ist für mich unverständlich, dass Zelebranten sich die Gelegenheit entgehen lassen, wenn sie endlich mal eine volle Kirche haben, den Menschen die ehrwürdigen sprachlichen Bilder der Liturgie in den lebendigen Sprachen nahezubringen. Gerade die Weihnachtsmesse ist die - jährlich meist einmalige - Gelegenheit, die Menschen "hören" zu lassen, sie zu berufen, sie einzuweihen, sie wirklich die Fakten des Glaubens erleben zu lassen. Und nicht, sie mit dem Blendwerk einer unverständlichen Sprache zu blossen Konsumenten kirchlicher Muse und Kompositionskunst zu machen. Eine tote Sprache zu benutzen, erscheint mir als Glaubenden in den lebendigen Gott seltsam.
Es kommt mir sogar der Verdacht, ob sich nicht vielleicht hinter dieser kalten Perfektion ein tief versteckter Zweifel an der Wirkung der Fleischwerdung Jesu Christi, und dessen Heilstat und Auferstehung steht. Verständlich wegen der fortwährenden Ungerechtigkeit im Heiligen Land und der, wie schon gesagt, leeren Kirchen im Westen. Klöster, die einst hunderte von Mönchen oder Nonnen allen Alters ein Heim waren, sind heute nur noch von ein paar Greisen bewohnt. Wo ist das Licht, das die Erde erfüllen sollte?
Vielleicht sind wir nach zweitausend Jahren müde geworden, danach zu suchen, oder zu erschöpft, um in die unheimliche Stille hinaus zu horchen, ob da nicht ein wahrnehmbares Wort für uns gesprochen wird. Vielleicht hat der Philosoph wirklich Recht? Ist Gott tot? Ist er nicht mehr erfahrbar, so dass wir uns mit einem universellen Konzept "Gott" behelfen müssen?
Gerade heute, den 25. Dezember 2011, stellt sich die Frage: Ist die Sohnschaft Jesus Christus universell oder einzigartig? Gilt "Sohnschaft" für alle, oder ist es eine der einmaligen, unwiederholbaren Beziehungen, welche die Person und hier eben Sohn ausmacht? Ist nicht jede menschliche Tochter- / Sohnschaft einzigartig und unwiederholbar? Kann man Sohnschaft einfach auf seine Abhängigkeit zu einem Prinzip, einem Ersten, einem Vater reduzieren? Oder hat Sohn-Sein gerade wegen seiner unabstrahierbaren Einzigartigkeit eine universelle Bedeutung? Sohn-Sein ist eine konkrete Erfahrung, über die Gott spricht, und die das Dasein, das immer ich selber bin, in seiner Tiefe und Einzigartigkeit mit bezeugen kann. Ich kann dies aber nur, wenn ich einen direkten Zugang zum Wort habe.
Hat sich Paulus geirrt, als er Griechisch für seine Briefe wählte, oder hat er sich von der Menschwerdung inspirieren lassen? Es ist doch die Einmaligkeit des gezeugten Sohnes, die Paulus das Recht gibt, über die Grenzen der jüdischen Religion und über die Grenzen der lokalen Umgangssprache oder der hebräischen Hochsprache hinaus zu gehen. Er bezeugt den Herrn, eben weil er weiss, dass der Jesus Christus Mensch ist. Der Herr hat aber mit seiner Geburt eine Sprache gewählt – einen Dialekt -, die damals nur in einer begrenzten Region geläufig war. Es ist dies eine Sprache, die, obwohl über alle Massen geheiligt durch den Mund des Herren, heute bis auf wenige linguistische Spuren vergessen ist.
Der Christus konnte ja schreiben. Hat er sich vielleicht bewusst ins literarische Schweigen gehüllt, um das Geheimnis der Inkarnation tiefer erfahrbar zu machen? Hat er vielleicht deshalb den Stall in Betlehem dem Palast eines Königs vorgezogen, weil das offenkundige Teilen der Nacktheit und Zerbrechlichkeit eines jeden Menschen sein Mensch-Sein begreifbarer macht? Wenn wir dies mit "Ja" beantworten können, wie kommt es dann, dass wir es gerade bei den festlichen Messen verhindern, die anwesenden Menschen am Opfer Jesu Christi teilnehmen zu lassen, indem wir in einer anderen Sprache feiern als der, die in unserer Zeit und an diesem Ort die verbreitetste ist? Die Apostel und Kirchenväter haben über das Geheimnis der göttlichen Geburt meditiert und für ihre Mission ihre Schlüsse gezogen, wie Methodius und Kyrillos, die Altsyrer, die Chaldäer, die Russen und die Missionaren Chinas und Indiens lange vor Matteo Ricci.
Noch bedenklicher ist es, dass die geheimnisvolle unverstandene Sprache dazu führen kann, die Messe mit einem magischen Ritual zu verwechseln. Anstelle der verständlichen Worte, die uns zu Jesus Christus führen und uns zu authentischen Zeugen seiner Person und Taten machen sollten, tritt, in der Erfahrung der meisten Messbesucher, ein dunkles hypnotisierendes Wortmuster, in dem nur die Zelebranten wissen, wohin es führt und was es aussagt. Es wird den Anwesenden unklar, ob das, was auf dem Altar passiert, ein neues oder das eine, unwiederholbare Opfer des Herrn ist. Sicher hat die dunkle Sprache ihren Reiz und ist um einiges bequemer, da man ja einfach zuschauen kann. Aber eine solche, sicher gültige, Messe entmündigt die Anwesenden. Und dies obwohl mit Taufe, Kommunion und Firmung die Einweihung ja eigentlich abgeschlossen ist, die Teilnehmenden also das Recht darauf haben, "mitgenommen" zu werden - eben teilzunehmen.
Den Menschen nicht, wie Luther so schön sagte, "aufs Maul schauen" - d.h. eben sich nicht die Mühe machen, den Glauben weiterzugeben, die Frohe Botschaft nicht in allen Sprachen zu verkünden, also gerade die Tradition zu verunmöglichen - zeugt von einer Kritik an der Methode des Wortes. Das Wort ist Fleisch geworden, und wir müssen aufpassen, dass wir es nicht ablehnen, nur weil es in seiner Armut um Gehör bittet, anstatt machtvoll zu gebieten. Niemand würde heute auf Latein betteln, nicht einmal der Sohn Gottes...
1Aus dem griechischem Fremde die unverständliche Sprachen sprechen.